6. Alle Vollkommenheit nehmen zu und steigen auf mit Graden und nach Graden

Daß es Grade zweifacher Art gibt, nämlich Breitengrade und Höhengrade, sahen wir oben: sowie, daß Breitengrade sich verhalten wie Licht in seiner Verschwächung in Dunkel, oder wie Weisheit in ihrer Verschwächung in Unwissenheit, wogegen Höhengrade sich verhalten wie Absicht, Ursache und Wirkung, oder wie Vorangehendes und Letztes; von den letztgedachten Graden wird gesagt, sie steigen auf oder sie steigen nieder, denn sie gehören der Scheitelrichtung an, von jenen dagegen wird gesagt, sie nehmen zu und ab, denn sie gehören der Seitenrichtung an. Letztere Grade sind von jenen so völlig verschieden, daß beide nichts Gemeinsames haben, weshalb sie wohlgeschieden müssen aufgefaßt, und ja nicht dürfen vermengt werden.

Alle Vollkommenheiten wachsen und steigen auf mit Graden und nach Graden darum, weil alle Prädikate ihren Subjektenfolgen, Vollkommenheit aber und Unvollkommenheit durchgreifende Prädikate sind; sie werden nämlich aufgesagt von Leben, von Kräften und von Formen. Lebensvollkommenheit ist Vollkommenheit von Liebe und Weisheit; und weil Wissen und Verstand Aufnahmegefäße von diesen sind, so ist Lebensvollkommenheit auch Vollkommenheit in Willen und Verstand, und folglich in Regungen und Gedanken; und weil geistige Wärme Behälter von Liebe, und geistiges Licht Behälter von Weisheit ist, so nimmt auch die Vollkommenheit dieser Bezug auf Lebensvollkommenheit. Kräftevollkommenheit ist Vollkommenheit von Allem, was durch Leben betätigt und bewegt wird, ohne daß jedoch Leben in solchem wäre. Solche Kräfte sind die Atmosphären unter dem Gesichtspunkte der Betätigungen; und wieder sind solche Kräfte die organischen Substanzen im Inwendigen und im Äußeren des Menschen, sowie bei den Tieren aller Gattungen. Und wieder gehört zu diesen Kräften alles in der naturmäßigen Welt, was von den dortigen Sonne unmittelbar oder mittelbar Bestätigung nimmt. Formenvollkommenheit und Kräftevollkommenheit  fallen zusammen, denn wie die Kräfte sind, so sind die Formen, mit dem einzigen Unterschiede, daß Formen sind Substanzen, Kräfte dagegen deren Betätigungen; weshalb bei beiden gleicher Vollkommenheitsgrad eintritt: Formen, die nicht zugleich Kräfte sind, sind gleichfalls vollkommen nach Graden .

Hier sprechen wir nicht von Lebens-, Kräfte- und Formen-Vollkommenheit, wie diese zunimmt oder abnimmt nach Breitegraden oder stetigfortlaufenden Graden, indem diese Grade in der Welt bekannt sind; sondern wir reden von Lebens-, Kräfte- und Formenvollkommenheiten in ihrem Steigen oder Fallen nach Höhengraden oder abgesetzten Graden, weil diese Grade in der Welt unbekannt sind. Wie jedoch die Vollkommenheiten nach diesen Graden steigen oder fallen, läßt sich nur kaum erkennen an sichtbaren Gegenständen in der naturmäßigen Welt, klar dagegen an sichtbaren Gegenständen in der geistigen Welt. An sichtbaren Gegenständen in der naturmäßigen Welt wird es nur an dem Umstand erraten, daß, je inwendiger sie betrachtet werden, um so Wunderhafteres uns entgegentritt, wie z.B. im Auge, im Ohr, in der Zunge, in den Muskeln, im Herzen, in der Lunge, Leber, Magendrüse, Milz und den übrigen inneren Teilen; dann in Samen, in Früchten und Blüten, und auch in Metallen, Minen und Steinen. Daß in all diesen Körpern, je mehr wir ins Innere dringen, um so Wunderbareres uns entgegenkommt, ist eine bekannte Tatsache. Und doch hat diese so gut als nicht zu der weiteren Tatsache geführt, daß sie inwendig vollkommen sind nach Höhengraden oder nach abgesetzten Graden. Die Unkunde dieser Grade hat jenen  Umstand verhüllt. Weil nun aber diese Grade in der geistigen Welt sich anschaulich darstellen, indem jene Welt durchgehends vom Obersten bis zum Untersten klargeschieden in solche Grade sich abteilt, darum läßt sich aus ihr die Kenntnis derselben schöpfen; woraus denn sofort Schlüsse können gezogen werden auf Kräftevollkommenheiten und Formenvollkommenheiten, die auf gleichem Grade stehen in der naturmäßigen Welt.

In der geistigen Welt sind dei drei Himmel nach Höhengraden geordnet; im obersten Himmel sind die Engel in aller Vollkommenheit vor den Engeln im mittleren Himmel; und im mittleren Himmel sind die Engel in aller Vollkommenheit vor den Engeln des untersten Himmels. Die Vollkommenheitsgrade sind von der Art, daß die Engel des untersten Himmels nicht können zur ersten Schwelle von den Vollkommenheiten der Engel des mittleren Himmels hinansteigen, noch diese zur ersten Schwelle von den Vollkommenheiten der Engel des obersten Himmels; es klingt dies fremdartig, doch aber ist es Wahrheit. Der Grund ist: weil sie geordnet sind nach abgesetzten Graden, und nicht nach stetigfortlaufenden Graden. Durch Selbstansicht ward mir kund gegeben, daß ein solcher Unterschied in Regungen und Gedanken, und folglich in der Rede, zwischen den Engeln der oberen und der unteren Himmel besteht, daß sie nichts Gemeinsames haben, und daß der Verkehr einzig nur durch Entsprechungen vor sich geht, welche sich ergeben aus unmittelbarem Einfließen des Herrn in sämtliche Himmel, und aus mittelbarem Einfließen den obersten Himmel hindurch in den untersten. Diese Abscheidungen, weil sie so beschaffen sind, lassen sich nicht mit naturmäßiger Zunge bezeichnen, so denn auch nicht beschreiben, denn Engelsgedanken fallen nicht unter naturmäßige Denkbilder, weil sie geistig sind: ausgedrückt und beschrieben werden können sie nur von ihnen mit ihren Zungen, Wörtern und Schriftzeichen, und nicht mit menschlichen: darin der Grund, warum gesagt ist, in den Himmeln sei Unaussprechliches vernommen und geschaut worden. Jene Abscheidungen lassen sich annäherungsweise fassen in folgendem Umstand: Die Gedanken der Engel des obersten oder dritten Himmels sind Absichts-Gedanken; die Gedanken der Engel des mittleren Himmels sind Ursachen-Gedanken; die Gedanken der Engel des untersten oder ersten Himmels aber sind Wirkungs-Gedanken. Man bemerke hierbei, daß ein Anderes ist: denken aus Zwecken heraus; und ein Anderes: denken über Zwecke; und wieder, daß ein Anderes ist: denken aus den Ursachen heraus; und ein Anderes: denken über Ursachen; wie auch, daß ein Anderes ist: aus Wirkungen heraus denken; ein Anderes aber: über Wirkungen denken. Die Engel der unteren Himmel denken über Ursachen und über Absichten; die Engel der oberen Himmel dagegen aus Ursachen und aus Absichten; und, aus diesen denken, ist der Anteil höherer Weisheit. Denken aus Absichten ist Angehör von Weisheit; denken aus Ursachen ist Angehör von Verständigkeit; und denken aus Wirkungen Angehör von Wißtum.  Dies bekundet uns, daß alle Vollkommenheit steigt und fällt mit Graden gemäß.

Weil des Menschen Inwendiges, welches dem Willen und Verstande desselben zugehört, ähnlich ist den Himmeln unter dem Gesichtpunkte von Graden - der Mensch ist nämlich für den Betreff des Inwendigen, welches Angehör seines Gemütes ist, der Himmel in kleinster Gestalt -, darum gleichen sich auch ihre Vollkommenheiten: allein jene Vollkommenheiten werden nicht wahrnehmbar in irgend einen Menschen, solange er in der Welt lebt, denn solange ist er auf dem untersten Grad; und aus dem untersten Grad heraus lassen sich nicht erkennen höhere Grade; nach dem Tode aber werden sie erkannt; alsdann nämlich gelangt der Mensch in denjenigen Grad, der seiner Liebe und Weisheit entspricht, denn er wird alsdann Engel, und denkt und redet nun Solches, das unaussprechlich ist für seinen naturmäßigen Menschen: alsdann tritt nämlich eine Emporhebung des Ganzen seines Gemütes ein nicht in dem Verhalten wie eins zu eins, sondern wie drei zu eins; denn dieses ist das Verhältnis der Höhengrade, jenes hingegen das der Breitengrade. Jedoch in jene Grade steigen diejenigen nur auf, die auf der Welt in Wahrem befindlich waren und es auf´s Leben hintrugen.

Es hat den Anschein, als ob das Vorhergehende minder vollkommen wäre als das Nachgehende, oder, anders ausgedrückt, das Einfache minder vollkommen als das Zusammengesetzte; dennoch aber ist Vorangehendes, aus welchem Nachgehendes hervorkommt, oder Einfaches, aus welchem Zusammengesetztes wird, das Vollkommenere. Der Grund ist: Vorgehendes oder Einfacheres ist unbekleideter, und weniger umhüllt von unbelebten Substanzen und Stoffen; und es gleichsam gottähnlicher, und darum näher der geistigen Sonne, wo der Herr ist; die Vollkommenheit selbst nämlich ist in dem Herrn, und von da in der Sonne, welche das erste Ausgehende Seiner göttlichen Liebe und göttlichen Weisheit ist; und von da aus in dem, was zuerst folgt, und so in der Reihenfolge bis zu dem Untersten, das je nach seinem Abstande minder vollkommen ist. Bestände nicht so überschwängliche Vollkommenheit in dem Vorhergehenden und Einfachen, es könnte nicht der Mensch, noch irgendein lebendiges Geschöpf, aus Samen entstehen und nachher bestehen; noch könnten Samenkörner von Bäumen und Niedergewächs in Keim und Frucht ausgehen, je mehr es ist vorgehend, und alles Einfache, je einfacher es ist, weil es vollkommener, um so geschützter vor Verderbnis.