185. bis 188. Kapitel der Kindheit und Jugend Jesu 

Es kommt besonders darauf an, daß wir uns die Lebensgeschichte von  Jesus voll vergegenwärtigen und dabei all unsere Sinne einsetzen,  sodaß wir mit inneren Augen sehen, mit Ohren, die nach innen gerichtet  sind, hören, mit unseren Gefühlen  (Tastsinn),  mit  allen  fünf  Sinnen der Seele mit dabei sind, damit das Wort Gottes in  uns lebendig  werden  kann. Die  äußere  christliche  Nachfolge  mit  den  Werken  der Nächstenliebe   kann   jeder  ehrliche  und   aufrichtige  Wortforscher leicht nachvollziehen. Viel schwerer ist es  jedoch, die seelischen Tätigkeiten in uns zu aktivieren. Unter den seelischen Tätigkeiten verstehe ich nicht nur das Lesen  und  das  Hineinfühlen  oder das Selbstbeschauen, das Gebet und die mystischen Übungen, sondern  ich verstehe noch etwas mehr,  nämlich  die  Einstimmung unserer Seele in  die  geistige Welt, die wir morgen bewohnen wollen.

Zu diesem geistigen Tätigwerden in  den  Paradies- oder  Himmelszuständen sollen diese Abschnitte bzw. meine Tonbänder anregen. Deshalb  sagte  Jesus zu  uns:  „Übet euch  jetzt schon in den Geschäften des Himmels.“ Wozu, wird mancher Müßiggänger fragen? Wozu  soll  ich mich dazu jetzt schon üben? Die Ewigkeit ist lange  genug  dafür!

Dies ist ein berechtigter Einwurf, aber lausche in dich und  du findest die Antwort in dir selbst. Dein Gewissen,  aus dem  Gottgeist  belebt, mahnt dich jederzeit. Bedenke,  ein  glückliches  und erfülltes  Erdenleben ist nur möglich, wenn die Seele mit ihrem Geiste aktiv mitwirkt.

Wenn sie aktiv mitwirkt in all  dem  zeitlichen  Geschehen,  hier  und jetzt und  heute in  diesem  Augenblick,  wohlgemerkt,  dann  werden  erst die äußeren Werke  unseres Herrn Jesu Christi durch diese  innere  Tätigkeit geadelt. Die innere Tätigkeit weckt die  heiße  Liebe  zu Jesus und entflammt die Liebe  zum  Nächsten  in  gottwohlgefälliger Art und nicht in der  irrenden  Art,  wie  wir  Menschen  es  vielleicht meinen. Wer innerlich tätig geworden ist, in  dem bleibt  der  Himmel gegenwärtig, der Himmel mit seinen  Freuden  und  Wonnen  und  bei dem bleibt Jesus, das ist eine unentwegte Freude.

Cyrenius verstand nun das Geschehen seiner Irrfahrt nach  der  geistigen Sinnerklärung durch  Josef. Wir alle sitzen im gleichen Boot  und  erleben die gleiche  Meerfahrt  in  unseren  Versuchungen. In  unserer Phantasie erleben wir Ostrazine, den Meeresarm, die schöne Villa Josefs.

Als Cyrenius solches  von  Josef   vernommen  hatte,  da  wandte  er  sich sogleich an das auf seinen Armen ruhende Kindlein und sprach zu Ihm:

Erlebe es, auf den Armen des Cyrenius ruht das  Kindlein, die Macht, die  Kraft! Die Potenz eines menschlich reaktiven Verstandes ist jetzt einmal so weit, daß es den kleinen  Jesus  mit  aller  Macht  annimmt.

Unser Verstand, der so einfältig  und  närrisch  ist,  nimmt  die  Liebe Jesu Christi ganz auf! Da werden wir zu einer Seele, die bereit ist, innerlich tätig zu werden. Tun wir dies auch. Nehmen wir  in unserem menschlich reaktiven Verstand die Liebe Gottes  auf.   Nehmen  wir  das Kindlein auf unsere Arme. Vielleicht können  wir  dann  mit  Cyrenius sprechen: 

„O Du, Dessen Name meine Zunge nimmer  würdig  ist  auszusprechen! Das war sonach lauter Gnade  von Dir,  Du  mein  Herr  und Gott ?  Wie, auf welche Weise soll ich  Dir  nun  danken,  wie  Dich loben und  preisen für solche  übergroße wunderbare Gnade ? Was kann ich, ein armer, blöder Mensch,  Dir, o  Herr  entgegentun,  da Du mir so endlos gnädig bist und schützest mich  mehr  denn  Dein eigen Herz ?“

Und das Kindlein sprach: „Mein geliebter Cyrenius! Ich hätte  dich  noch  um vieles lieber, wenn du nur nicht immer vor Mir  also  aufseufzen möchtest ! Was habe denn Ich und du davon, wenn  du  also seufzest vor Mir ?Ich sage dir, sei  du  lieber  heiteren  Mutes,  und liebe   Mich  wie  alle  anderen   Menschen  in  deinem  Herzen,  da wirst du Mir lieber sein, als so  du  immer  seufzest  für  nichts  und wieder nichts.“ 

Verstehen wir diese Worte ?  Seien  wir  heiteren  Mutes  und lieben wir Gott in allen Menschen in unserem Herzen. 

Und Cyrenius sagte allerzärtlichst  zum  Kindlein:  „O Du  mein  Leben, Du mein Alles,  darf  ich denn nicht beten zu Dir, meinem Gott und  meinem  Herrn ?“  Das  Kindlein  aber  erwiderte: „O ja, das darfst du wohl; aber  nicht  durch  allerlei Exklamationen,  sondern allein in deinem Geiste,   der die Liebe in Dir ist zu Mir,  und in deren Wahrheit,  die da ist  ein  rechtes  Licht, das  da  entströmt  der Flamme der Liebe!“ 

Im Geiste und in der Wahrheit also sollen wir beten. Den Geist aber  kannst du nur wecken,  wenn  du  frei  bist  von  deinen  Emotionen,  wenn  deine  Liebe  nicht  hochjubelnd ist und süßlich wird, sondern rein und nüchtern bleibt und in Zerknirschung und reiner Demut, die erkennt, daß wir  Menschen  nichts  sind  und  Gott alles ist, daß wir leichenhaft sind, ja tot ohne das göttliche Leben.  Das  göttliche  Potential liegt in uns  allen. Diese  göttliche Kraft allein ist  Gebet. Diese göttliche Kraft laß in dir, in deinem Herzen klingen, in deiner Seele  und  in deinem wachbewußten  kreatürlichen Verstande, der Gott nie und nimmer fassen kann. Das ist Gebet in  der Liebe  und  in  der Wahrheit. Dieses  heilige Gebet, aus dem Gottgeist erquollen, kommt aus einer Kraft Gottes, die wir innewerden. Erst dieses heilige  Gebet ist Leben. Dieses Gebet versetzt die Berge unseres Zweifels, die  Berge unserer Emotionen, die Berge  unserer  jenseitigen  Welten, die wir in jedem Augenblick durch ein gottfernes Denken zu unserem Schmache, zu unserer Schande, zu unserer Sünde verwirklichen.

Gott erbarme Dich unser ! 

Das Jesulein spricht weiter:  Meinst  du denn, Ich  werde  durch  der  Menschen  Gebete  fetter,  mächtiger  und größer, als Ich ohne solche Gebete ohnehin schon  bin ?  O  siehe,  darum  habe Ich Mich ja  aus  Meiner  ewigen Unendlichkeit  gestellt  in diesen Leib, auf  daß  Mich die Menschen mehr mit ihrer Liebe  anbeten  sollen.“ 

Erwecken wir die Liebe jetzt in diesem Augenblick, wo wir diese Zeilen  lesen.  Fühlen  wir  die Wärme der Liebe in unserem Herzen. Das Wunder der Gottliebe will in uns aufsteigen, uns aus den tiefen Schichten  unserer  Emotionen  herausheben, aus dem  Alltag  der Sorge, aus der Apathie, aus der Selbsterniedrigung, die wir fälschlich Demut nennen, hinauf und höher heben in die heitere Gelassenheit, wo  wir dann einmal  hoch  über  den  höchsten  Empfindungen unserer Hingabe an Gott die Liebe des Geistes empfinden dürfen.           

Und Jesus  spricht  weiter: „Und  sollen  dabei sparen  ihren  Mund, ihre Zunge und  ihre  Lippen! Denn ein solches Beten entwürdigt den Anbeter wie den Angebeteten, weil es  ein  totes Zeug  ist,  ein  Eigentum der Heiden!“ 

Mit diesen Jesu-Worten wagen wir  fast  nicht  mehr äußere Worte  in  einem  äußeren Gebet zu gebrauchen. Aber wir dürfen es. Jesu lehrt es uns selbst im ,Pater noster’. Bittet, so sagt  Er,  so wird euch  gegeben.

Wir dürfen es, aber wir bleiben nicht stehen  in  diesem lehren Lippengebet. Wenn unsere Gedanken dabei flammend  in menschlich einfältiger Liebe zu Gott  hochlodern, auch  damit  ist unser Gebet noch nicht das Gebet, das Jesus hier mit diesen wenigen Worten meinte, die Er zu Cyrenius  sprach,  unserem  menschlich  irrenden Verstand, der  in der Welt durch die fünf Sinne wirksam ist.  

Hören wir die Jesu-Worte  weiter,  die  Er  zu  Cyrenius,  zu  dir  und  uns  alle sprach: „Was  tust  du  denn mit deinen guten Freunden und Brüdern, so du mit  ihnen  zusammenkommst? Siehe, du  erfreust  dich über sie, grüßt sie und bietest ihnen die Hände, Brust und Kopf. Tue desgleichen auch mit Mir und Ich werde  ewig  nichts  anderes  verlangen.“ 

Bieten wir Jesus in uns der göttlichen Urliebe unsere  Hände, unsere  Brust und unseren Kopf. Weißt du, was das bedeutet ? Gestatte  mir, daß ich dir aus der Entsprechungswissenschaft helfe. Unsere Hände, die wir Gott bieten sollen, sind unsere  Tätigkeiten.  All  unser  Tun soll der  Liebe  Gottes   geopfert  werden  und  wir  sollen  dabei  erkennen, daß Gott durch  uns  wirkt.  Nichts  ist  unser,  auch  unsere Hände nicht. Hauptsächlich für  das  Paradies  und  für  den  Himmel  müssen  wir  mit unseren Händen, mit unseren Tätigkeiten zu wirken beginnen. Erst dann  ist  die  Tat in der physisch-körperlichen Ebene eine  wirkliche, gerechte Tat, ein gerechtes Werk für Gott.

Unsere Brust symbolisiert die Liebtätigkeit. Es gibt noch eine weitere innere Tätigkeit, die noch tiefer gehend ist. Es ist die selbstlose  Liebe für alle Dynamiken  des  Lebens. Was verstehe ich darunter ? Die Selbsterhaltung  ist auch eine Lebensdynamik. Viele lieben die Fortpflanzung, worin sie sich erschöpfen. Andere  lieben die Gruppe, ihr Vaterland, ihr Volk, auch darin  erschöpfen  sie  sich.  Einige  lieben die ganze Schöpfung, das Weltall  und darin erschöpft sich ihre  Liebe.  Aber  wer  wahrlich  liebt,  recht  liebt,  der  Gott  liebt  in  allen Dingen, in allen Wesen, in allem, was  ihm  begegnet,  sei  es  Liebe oder Leid, Freude oder Bedrängnis, der erst bietet Gott die Brust. In der Brust schlägt  unser Herz Ihm entgegen,  dem  geliebten Jesus in allen  Dingen. Dann  wird  es  auch  im  Kopfe  klar, dann wird auch im Kopf Gott sein und der Kopf wird geklärt. Er wird sich der Liebegedanken  bewußt, die aus  dem  Herzen  aufsteigen. Der  Kopf  entspricht dem Himmel, sagt uns der Herr durch Swedenborg. Der Kopf ist  das Oberste.  Aber  nur  dann  ist  der Kopf in Ordnung, wenn er vom Herzen erfüllt ist  und die Hände  der  Liebetätigkeit durch die Brust wirken, wenn Jesus also deine Werke wirkt. 

Lauschen wir  weiter,  was  die  Gottliebe durch das  Jesu-Knäblein  zu Cyrenius   spricht:  „Und  nun  sei völlig heiter und siehe dich ein wenig nach deinen Kindern  um,  frage sie ein wenig aus, was alles sie schon gelernt haben. Du wirst selbst eine größere Freude haben daran und wirst auch Mir eine größere  Freude  machen,  als  wenn du hundertmal  nacheinander  fortseufzen  und  exklamieren  möchtest.“     

Darauf ward Cyrenius recht  heiter  und  berief  sogleich  die acht Kinder zu sich,  die  ja  von  Josef adoptiert wurden und fragte sie über so manches aus. Die Kinder aber gaben ihm auf   jede  Frage so gründlich kenntnisreiche Antworten, daß  er  sich  darob nicht genug verwundern konnte. Da war es auch völlig  aus  beim  Cyrenius vor lauter Freude. Die Kinder freuten sich aber  auch, daß sie  so gescheit waren und Cyrenius beschenkte sie alle reichlich und lobte den  Meister. 

Halten wir ein, lesen wir noch einmal die letzten Worte des Kindleins. Sie gehen uns besonders an: „Und nun sei völlig heiter und siehe dich ein wenig  nach  den Kindern um und frage sie ein wenig aus, was  alles sie schon gelernt  haben. Und wenn du das getan hast, dann  wirst du selbst eine  größere Freude  haben daran  und  wirst auch Mir eine größere Freude machen als  wenn du  hundertmal  nacheinander  fortseufzen und ausrufen möchtest.“

Vermutlich denkst du bei diesen Worten an die  acht  Kinder,  wie  es auch  der  Cyrenius  tat  und  steigst  wieder hinunter in die natürliche  Vorstellung, in die natürliche Geschichte. Doch bedenke, jedes  Gottwort hat einen geistigen Inhalt. Der  geistige  Inhalt  bezweckt,  deine Seele vom Tode zu erretten, deinen Geist zu erwecken und alle Zellen deines Körpers zu verklären. Darum sei völlig  heiter  und  siehe  dich ein wenig nach deinen Kindern um. Wer sind denn deine Kinder ? All die Gedanken, die du in deinem langen Leben bis jetzt hattest, all deine Wünsche und Begehrungen, all  deine  Freuden  und   Hoffnungen, all deine Liebestriebe und Neigungen,  deine  Emotionen,  deine Gefühle und Empfindungen, all deine Werke, die du wirktest. All dieses hat sich in Geist-Seelenbereiche  oder in Stoffbereichen  verwirklicht. Du bist im  gewissen Sinne der Vater dieser Kinder. Acht Kinder sind es! Lege die Zahl um und du hast das Zeichen für die Unendlichkeit, Kinder ohne  Zahl,  unendlich  viele  Kinder sind aus dir geworden, entsprossen aus deinen Händen, aus deiner Brust, aus deinem Kopfe. Du  bist für sie voll verantwortlich !  Siehe dich  ein  wenig   um  nach  deinen Kindern! Gehe liebend mit deinen  Kindern  um  und  du  wirst selbst  daran eine große Freude haben, sagt der Herr durch das Jesulein, und so wirst du auch Mir, deinem Gott und Vater eine größere Freude machen als mit all  den  Exklamationen  in  überschwänglichen  Gebeten.

Dies ist die Arbeit im Kinderland.

Kannst du diesen Worten folgen ? Weißt du,  wie  wir  richtig  verstehen?  Wir verstehen richtig, wenn wir die Realität,  also  das  um  uns Wirkende vollkommen annehmen mit unserer Liebe,  mit  unserer Zustimmung,  mit  unserer  Zuneigung. Verbinde dich mit  deiner  reinen selbstlosen Liebe mit allem, was um dich  im  Alltag  wirkt, mit  allen Menschen, denen  du  begegnest ! Lassen  wir den  anderen sein wie er ist, d.h. die Realität annehmen. Unser  Leben,  unsere  Zuneigung,  unsere gewissen Vorstellungen und Meinungen schaffen in der Regel einen  gewissen  Abstand  zu unserer  Umwelt. Dieser Abstand  muß  zu  einer echten Verbindung  verkürzt  werden,  erst  dann  treten wir mit unseren Mitmenschen in eine echte Kommunikation. Hierzu  sind  drei Dinge  unbedingt erforderlich: Liebe, Erkennen der Wirklichkeit um uns und die Verbindung mit ihr. Bringen wir diese  drei ins Spiel, dann entsteht daraus wahres Verstehen, das Verstehen  unserer  Kinder im Alltag. Dies ist eine geistige  Tätigkeit,  die  wir  immer  üben  sollen.   Bestehen  für  uns  Kommunikationsschwierigkeiten,  haben  wir mit irgendeinen  Menschen Differenzen, gar einen Streit, oder es taucht zu ihm ein Unbehagen auf,  ein  Mißverständnis,  dann waren diese drei Dinge nicht in  Ordnung, unsere  Liebe, unsere Zuneigung zum anderen, die Affinität, und wir waren nicht bereit,  die  Wirlichkeit als real anzunehmen,  es  versucht  zu  haben,  eine  Verbindung der Herzen herzustellen. Dann gibt es auch kein  Verstehen. Erst  im  Verstehen haben wir unsere Freude und ärgern uns an  unseren  Kindern nicht. Im Verstehen ergeht  es  uns  erst  wie  Cyrenius, der eine richtige Freude an seinen Kindern hatte.

Nehmen wir die Umwelt an mit all ihren Geschehnissen,  den  Nächsten, dem wir begegnen, Freund wie  Feind,  solche,  mit  denen  wir Konflikte hatten, die werden uns zu besten Lehrmeistern. Unsere Betrachtungsweisen, die Art, wie wir mit ihnen  umgehen,  sind  unsere Kinder, die uns zu  einer  bestimmten Haltung  animieren.

Lesen wir weiter, auch in der Jugend Jesus erfahren wir es: 

Der älteste der Josef´schen Adoptivknaben, Sixtus, trat zu Cyrenius hin und erklärte dem Statthalter, was er alles im  Hause  Josefs  erlernt hatte. Dann erklärte er wie ein Professor das Wesen der Erde, ihr Aussehen und ihre Beschaffenheit.  Bei seinem Unterricht nahm Sixtus den aus der Pomeranze  so wunderbar  angefertigten  Globus zur Hilfe. Da  staunte Cyrenius und das Kindlein schenkte dem Erstaunten nach diesem Unterricht auch den Globus.  

Eine ganze Welt wird uns von der Liebe unseres Jesulein geschenkt. 

Cyrenius war über  das  Geschenk  des Globus  so  außerordentlich  erfreut, daß    er sich vor lauter Seligkeit nicht zu helfen wußte. Nach  einer Weile, nachdem er den Globus von allen Seiten beschaut  und  sich  von  der  höchst  richtigen  Darstellung  aller  ihm  bekannten  Punkte überzeugt hatte, fing er erst wieder zu  reden  an und sprach: „Josef, das ist ja doch ein überlautes Zeugnis für uns alle  über Den, Der einst die Erde erschaffen hat, denn was  ist  wohl  dem  Allmächtigen schwerer, zu erschaffen eine große  Erde,  oder  zu  erschaffen  eine so kleine zu unserer Belehrung über die große,  die  uns  trägt?

Ich meine, das wird wohl ein und  dasselbe  sein!  O  Gott, o  großer  Gott,  welch endlose Fülle der Vollkommenheiten  aller  Art  muß  in Dir wohnen, daß Dir solche Wunderdinge so höchst  leicht  möglich sind! Wer sich in Dich mit seinem Gemüte vertieft, der ist schon  selig auf der Welt! Wer Dich hat und  liebend  trägt  in  seinem Herze, wie endlos glücklich  ist  wohl  der  zu  preisen!  O  wie ekelhaft  erscheint mir nun das  Getriebe der Weltmenschen! O du mein  armer Bruder Augustus! Wüßtest du und kenntest, was ich nun  weiß  und kenne, wie sehr würde dich dein wankender Thron  anekeln!  O Du mein Jesus, Du  mein Leben, Du mein alles! Möchtest Du denn nicht  meinem  Bruder  durch Deine  Allmacht  zeigen,  wie  nichtig und wie gar entsetzlich schmutzig sein Thron ist?“

Das Kindlein aber sprach: „Cyrenius, siehe  an  alle die Kreaturen  der Erde, und du wirst darunter  gute  und  schlechte  finden dir gegenüber! Meinst du wohl, daß  sie darum auch Mir gegenüber  also  sind?  Siehe, der Löwe  ist  ein grausames Tier und schont  kein Leben in seiner Wut! Hast du dieses Tier auch Mir gegenüber also gefunden? Mitnichten, sagst du in  deinem Gemüte, denn dieser König der Wüste rettete mir  zweimal  das  Leben!“ 

Kennst du noch die Entsprechungsbedeutung der Löwen? Denke  an  ihre  symbolhafte Bedeutung. Hier in diesen  Worten des  Jesu-Kindleins an Cyrenius wird der Entsprechungsbegriff des Löwen im negativen wie im  positiven  Sinne  verwendet.  Einmal  als  Tier,  das  in seiner Wut kein Leben schont,  das andere Mal vom Blickpunkt Gottes als Retter des  Cyrenischen  Leib-Lebens. So  bezeichnet der Löwe einmal die Macht des  Bösen  in  all  unserem  gottfernen Wirken  der  Sünde  und andernteils  die göttliche Schutzmacht vor der Hölle.

Bedenke, der Löwe liegt in dir, in  uns  allen! Die Kraft  und  Macht  göttlichen Schöpfertums kann  in  uns  in  selbstloser  Liebe  betätigt oder auch  im  sündhaften   Denken  und  Handeln  mißbraucht  werden.  Erkenne  sie,  die  Macht  des  Bösen  wie  auch  die  göttliche Schutzmacht. Jeder Mensch hat die  freie Wahl, wer  durch  ihn  wirken, denken und reden  darf.  Deine  Lebensliebe  entscheidet  in  jedem  Augenblick deines  Lebens, ob Engel,  Teufel oder andere Geister durch dich wirken  können. Im  Wachbewußtsein  deines  Kopfverstandes  liegt  die  Schaltstelle.  Mit  dieser  geistigen Schaltstelle handelst du in völliger Willensfreiheit, aber  auch  in  voller  Verantwortung. Kein  Engel  oder Teufel darf  sich ohne Erlaubnis in deine Gedanken und Willensregungen einnisten.

Das Kindlein sprach weiter zu Cyrenius, zu dir, zu deinem reaktiven  Verstande, der sich erheben soll in der Liebe zu  einem  gotterleuchteten Verstande. 

So sprach das Kindlein: „Siehe, also steht es auch mit deinem Bruder; er kann  nicht sein wie du, und du nicht wie er! Denn ich habe  darum allerlei Kreatur werden lassen, weil sie Meiner ewigen Ordnung zufolge also vonnöten ist! Und  so  mußte  es auch geschehen, daß dein Bruder ward, was  er  ist,  und  auch  du wurdest, was du  bist!  So aber dein Bruder spricht: Herr,  ich  weiß  nicht,  was  ich bin, und was  ich  tue,  sondern  Deine  Kraft  ist  mit  mir,  und ich handle nach  ihrer  Bestimmung! Dann ist dein Bruder gerecht wie du, und du sollst dich um ihn nicht kümmern; denn dereinst werden eines jeden Werke offenbar werden!“

Diese Rede des Kindleins brachte den Cyrenius wieder auf  bessere  Gedanken  über  Kaiser  Augustus  und  er betrachtete wieder seine kleine Erde. 

Uns ist hier gesagt worden: „Herr, ich weiß nicht, was  ich  bin  und was ich tue, sondern deine Kraft ist mit mir und ich handle nach ihrer Bestimmung.“ Handeln  wir  also nach dieser Gottkraft , dem Löwen in uns. Lassen wir den Löwen brüllen  auf  seine  Art  und  auf seine Weise und erkennen wir,  daß es  nicht wir  sind, sondern daß durch uns gewirkt wird mit göttlicher Kraft und Macht. Fühlen wir   genauso, daß Deine Kraft, Vater, in mir ist und  ich  handle nach ihrer  Bestimmung. Können wir das tun, dann sind wir gerecht  und  wir  handeln in der Liebe des Vaters. Cyrenius  kann  dies  verstehen,  unser  Verstand, und wir kommen  wieder auf  bessere Gedanken, über die Handlungen all  der anderen Menschen.  Richten  wir  nicht, auf daß wir nicht gerichtet werden.

Betrachten wir wieder unsere kleine Erde, die  uns  Jesus  geschenkt  hat. Denken  wir dabei nach, wie verschieden unsere Nachbarn sind, unsere Verwandten  und Bekannten, ja selbst  unsere  Familienangehörigen, wie verschieden sie uns gegenüber sind.

Denken wir darüber nach,  wie  wir  mit  diesen  verschiedenen  Mitmenschen  auskommen  können  und  wie wir sie in Liebe  verstehen  lernen, auch die  Natur  um uns. Nehmen  wir alles an, wie es ist und alle Annahme löst die  Starre auf ,  löst die Materie einmal  auf,  löst das Böse und Falsche einmal auf  und  verwandelt es  in  Gutes  und Wahres, in das, was wir  dann  Paradies  und   Himmel  nennen  und Gott selbst ist. 

Damit wir aber diese Erkenntnisse leicht und  besser  begreifen  können, will ich einige Stellen aus dem Gottwort zitieren,  die uns etwas  über die Verschiedenheit der Menschen  aussagen.  Lesen  wir diese Worte nicht nur, sondern  empfinden  wir  ihre  göttliche  Weisheitsaussage.

So spricht der Herr durch Jakob Lorber (1.HGT 102,7-8): 

Siehe,   die  Menschen  richten  eins  das  andere,  während  Gott  doch  tagtäglich über alles Seine Sonne aufgehen und über die ganze  Erde  Seinen  Regen  fallen  läßt.  Die  Menschen machen  Unterschiede  und  halten  nicht  allen  Menschen ihre Weisheit für würdig. Gott aber, der  große  Lehrer aller Geister, Sonnen und aller Menschen, verabscheut es  nicht und hält  es  nicht unter Seiner  Würde, dem Wurme im Staube und der Schmeißfliege  und  all  dem  Getier, und möchte es noch so klein und unansehlich sein, ein allerweisester Lehrer zu sein.  

Werfen wir die Schranken nieder, die uns von den  anderen  trennen,  von  den Menschen und Tieren, Pflanzen und Mineralien Achten wir alles und lassen wir den göttlichen Lehrer der Liebe  und  der  Weisheit  durch unser Gemüt  strahlen, auf alles, was um uns  geschaffen ist, damit es der Verklärung zugeführt werden kann.

Im 10.GEJ 68,13 spricht der Herr: 

Ich bin der Weinstock, die Menschen sind  die Reben  und  sind doch nach ihrer Art verschieden zu behandeln. 

Wir können den anderen  verstehen,  was  in  uns  aktiviert  werden muß, nämlich die zuneigende Liebe, ich hatte sie Affinität   genannt.

Aus dieser Liebe heraus kannst du die Wirklichkeit, die Realität, um  dich herum erkennen. Nur aus der Liebe kannst du dich mit den  anderen verbinden, ganz gleich, was es ist. Nur aus der  Liebe  heraus und Zuneigung und  aus dem Erkennen der Wirklichkeit  kannst  du mit den anderen in Verbindung treten. Wenn du  diese  drei  Punkte zusammen hast, dann wirkt das Verstehen, dann erkennst du, daß Er, das ,Ich bin’ der Weinstock ist und wir sind die Reben, in  verschiedener Art und Natur  und  deshalb  auch  verschieden  zu  behandeln sind. Cyrenius wollte auch gleich den Kaiser Augustus, seinen  Bruder, ihm gleich machen. Aber der Herr sagte, das geht nicht,  laß ihn sein wie er ist und was er tut,  er  soll  es  tun  im  Bekenntnis  seiner göttlichen Löwenkraft in sich.

Hören wir noch zwei Stellen aus  Swedenborg.,  aus  der  Göttlichen  Liebe und Weisheit (78+128) und aus dem Jüngsten  Gericht  (Punkt 13). So spricht der Herr: 

Es scheint, als ob das Göttliche nicht dasselbe wäre in dem  einen wie in  dem anderen Menschen.  Allein, das ist  eine  Täuschung.   Der  äußere  Mensch   ist  wohl  ein  anderer, doch  der  Mensch  ist  ein  Aufnahmegefäß göttlichen  Lebens und das  in  verschiedener  Weise,  deshalb  die  Verschiedenheit.  Das Göttliche  aber  ist  nicht  verschieden,  es  ist eins. Die  Verschiedenheit  der Engel und Menschen rührt nicht vom Herrn  Jesus  Christus  her,  sondern  nur            von   den   aufnehmenden   Menschen,  die  den  göttlichen  Einfluß  aufnehmen. 

Durch Eckehart von Hochheim sagt uns der Herr (Quintübersetzung 206,29): 

Die Verschiedenheit kommt aus der Einheit. 

In der göttlichen Vorsehung (4) sagt  uns  der  Herr  durch  Swedenborg: 

Und eine solche Einheit  ist  der  Mensch  und  eine  solche  Einheit ist die menschliche Gesellschaft.  Deshalb  hat  die menschliche  Verschiedenheit  ihren  Ursprung  im  Göttlichen.  (Jüngstes Gericht, Punkt 13) 

Mit diesen wenigen Sätzen aus dem Gottwort können wir  verstehen,  daß die Verschiedenheit einen göttlichen Ursprung hat.  Sie  ist  notwendig, damit wir aus der Mannigfaltigkeit wieder zur Einheit  kommen können.

So spricht der Herr in der Geistigen Sonne (1.Band, 80,12): 

Großartiger, weiser und wunderbarer zeigt sich  der Herr nirgends  wie  in   dieser  unendlich  höchst  verschiedenen Führung des geistigen Lebens, und dennoch hat  Seine Weisheit allenthalben die unertrüglichsten  Wege,  alle  diese  un-endlichen Verschiedenheiten, wie ihr zu sagen  pflegt,  unter  ein Dach zu bringen.  

Die Verschiedenheiten werden unter ein Dach gebracht. Das Dach ist das Höchste eines Hauses. Das Dach ist im  Entsprechungssinn  auch  das Höchste des Himmels. Die  Verschiedenheiten  verschmelzen  im Höchsten des Himmels in die Einheit Gottes. Das  ist  damit  gemeint.

Eckehart von Hochheim sagt (Büttner-Überausgabe S. 159): 

Fürwahr, Gott ist unser Ziel. Er muß der Täter unserer Taten sein und Ihn an Seinen  Werken  zu  hindern, hat durchaus niemand  Macht  und  Raum  und  Masse,  so  auch  der Mensch nicht. Niemand unter den Menschen hat die Macht, die Werke der Menschen zu hindern, denn der Mensch.  Er sehnt und sucht und schmeckt  nichts  als  nur  Gott,  seinen Vater. Der wird in all seiner Gesinnung  mit  ihm  eins  und gleich wie Gott keine Verschiedenheit zu zerstreuen vermag,  so mag  auch  nun der wohlgerechte Mensch  nichts  zu  tun,  was ihn zerstreuen würde, noch etwas zu  tun,  was  ihn  vermannigfältigen würde, denn er ist eins  in  dem einen, darin alle Verschiedenheit Einheit, unverbrüchliche Einheit ist.                                                                             

Denke  über  diese  heiligen  Gottworte  in  deinem  Herzen  in  Liebe nach. Weißt du, was dabei geschieht?

Wir haben diese Gottworte über die  Verschiedenheit  der  Menschen  gehört und du sollst  darauf  achten,  was  dabei  geschieht,  wenn  du über diese Worte in Liebe nachsinnst. Das gehörte  Gottwort   gleicht der Weisheit Gottes und dem  Lichte,  sie  verbinden  sich  mit  deiner hingebenden Liebe, dem Liebvertrauen zu dem gehörten Gottwort. So entsteht   in   dir  förmlich  ein  Ehebund,  weshalb ein  Ehebund?  Die Ehe  ist  nicht  nur die Verbindung  von einem  natürlichen Manne mit einer natürlichen Frau, eine Ehe ist  auch die Verbindung  vom  Guten und Wahren, von göttlicher Liebe  und  göttlicher  Weisheit.  Deshalb  wurde auch unsere Seele eine Braut Christi genannt.  Darum  wird  in uns durch liebendes Nachsinnen das gehörte  Gottwort zur  Braut  der in uns ruhenden Gottliebe. Ist das nicht eine wahrhaft himmlische Ehe? Aus dieser himmlischen Ehe wird dein, unser aller heiliger Geist geboren und mit dem heiligen Geist die vielen  Kinder des Himmels. Denn wisse, der heilige Geist entsteht  aus  der  Verbindung  von  göttlicher Liebe und Weisheit im Menschen. Kein anderer heiliger Geist,  vielleicht von außen zugeflattert, kann uns die Segnung des heiligen Geistes übertragen. Nur der in dir  durch  deine  Arbeit  und deine Liebe verwirklichte Geist verbindet  göttliche Liebe und göttliche Weisheit in dir selbst zum  heiligen Geist. Also nur der in dir  durch  Selbstarbeit  und Liebe verwirklichte Geist verbindet die göttliche Liebe und Weisheit in dir selbst zum heiligen Geist. Diese Heiligung aber ist allein das einige Werk Jesu Christi.  

Als Cyrenius die Erdkugel abermals mit großer Aufmerksamkeit betrachtete, da  verlangte das Kindlein freigestellt zu werden, um auf dem Hügel ein wenig hin und herzuhüpfen. Cyrenius  setzte  es  gar sanft auf die Erde und sprach:„O Du mein  Leben,  Du  mein  Heil, Du mein alles, nur von meinen Händen gebe ich  Dich  leiblich frei, aber nimmer aus meinem Herzen.  Denn  in  meinem  Herzen  lebst Du nunmehr ganz allein. Wahrlich, so  ich  nur Dich,  o  mein  Heiland habe, dann ist mir die ganze Welt mit all ihren Schätzen nichtiger als  das Nichts selbst.“  Hier  stand  das  Kindlein  auf,  wandte sich zu Cyrenius und sprach zu ihm: „Ich muß aber denn doch wieder bei dir verbleiben, obschon Ich  doch  ein  wenig  herumhüpfen möchte, weil du  Mich  gar  so  lieb  hast.  Hättest  du  fortwährend deine kleine Erde beschaut, siehe, da wäre Mir bei dir ein klein wenig langweilig geworden. Aber da du dein Herz wie all  deine  Aufmerksamkeit  wieder  Mir  völlig  zugewandt  hast, da muß  Ich  bei  dir  verbleiben  und  kann  Mich  nicht  trennen  von  dir. Aber höre du, mein lieber Cyrenius, was  wird  denn  dein  Weib  dazu  sagen, wenn sie sicher  vernommen  hat,  daß  du  Mich  nur  ganz  alleine liebst?“ Cyrenius sprach: „Herr, wenn ich nur Dich habe, was frage ich da um  mein  Weib  und um die ganze Welt? Siehe, das allein ist mir um die leichteste Münze feil. O, Du mein Jesus,  welche  Seligkeit kann größer sein als allein  die nur, Dich über  alles  zu  lieben und von Dir wieder geliebt zu werden. Darum  möchte  ich  die Tullia eher verachten wie  einen  Heuschreckenzug, bevor  ich  nur um eine Haarbreite von der Liebe zu Dir weichen möchte.“ 

Das waren sehr mutige,  aber  auch  irgendwie  überhebliche  Worte. Hören wir, was darauf das Kindlein sagte. 

Das Kindlein aber sprach: „Cyrenius, so Ich dich darob  ein wenig  prüfete, denkst du wohl,  daß du  da  beständig  bleiben  möchtest?“ 

Cyrenius  sprach: „Nach  meinem  gegenwärtigen  Gefühl  dürftest Du  wohl  die  Erde  unter   meinen   Füßen   zerstäuben   und   mir die Tullia tausendfach nehmen, so es möglich  wäre,  so  würde  ich aber dennoch in meiner gleichen Liebe zu Dir verbleiben.“

In diesem Augenblick sank die Tullia wie von einem Schlage  getroffen zu Boden und war sofort tot.  Alle  Anwesenden  erschraken  heftig. Man brachte sogleich Zitronensaft und  frisches Wasser und labte sie. Aber es war alle Mühe vergeblich, denn die Tullia war völlig tot. Als Cyrenius aber sah, daß  die Tullia ernstlich tot war,  da  verhüllte er sein Angesicht und fing an, recht  traurig  zu  werden.  Nun  aber  fragte das Kindlein den trauernden Cyrenius:„Wie kommst du Mir nun vor? Siehe, noch ist die Erde ganz und  dein Weib  ist  noch nicht tausendmal getötet wie du es verlangt hast und du trauerst  als hättest du  alles in der Welt verloren? Hast du Mich nicht gleich wie  ehedem, der Ich dir doch alles war?  Wie magst  du  nun   trauern!“

Hier seufzte Cyrenius tief  und  sprach  gar  kläglich: „O  Herr,  ich wußte ja nicht, wie teuer mir  die  Tullia  war,  solange ich sie  hatte. Ihr Verlust erst zeigt mir ihren hohen Wert. Darum  traure  ich  und werde trauern wohl mein Leben lang um sie, die  mir  eine  so  treue und edle Gehilfin war.“ Da seufzte das Kindlein tief auf und sprach:  „O ihr wetterwendischen Menschen, wie wenig Beständigkeit wohnt  in euren Herzen, wenn ihr schon also seid in Meiner Gegenwart, was werdet ihr erst dann sein, so Ich nicht mehr unter euch  sein  werde? Cyrenius, was war Ich dir vor einigen Minuten und was  bin Ich  dir jetzt? Dein Angesicht verhüllst du vor Mir wie vor der Welt und dein Herz ist voll Traurigkeit, daß du kaum vernehmen magst Meine Stimme. Ich aber sage  dir:  Wahrlich,  also  bist  du  Meiner  noch nicht wert! Denn wer noch sein Weib mehr liebt denn Mich, der ist Meiner  nicht wert, da Ich doch mehr bin als ein Weib,  geschaffen  aus  Meiner Macht! Ich sage dir, berate dich in  Zukunft  besser,  sonst  wirst du auf dieser Welt Mein Angesicht nimmer erschauen!“ Darauf ging das Kindlein zu Josef hin und sagte zu  ihm: „Josef, laß die Tote ins Kämmerlein bringen und sie legen auf  ein Totengerüst.“ Josef aber sprach: „Mein  Söhnchen,  wird  sie  nimmer  leben?“ Das Kindlein sprach: „Frage Mich nicht darum, denn nun  ist  noch   lange  nicht Meine Zeit, sondern tue, wie  Ich  dir  sage.  Siehe,  das  Weib  ward  eifersüchtig auf Mich als Mir Cyrenius seine  Liebe  gestand.  Diese  Eifersucht und dieser  Liebe  Neid hat  sie so schnell getötet. Darum frage Mich nicht weiter, sondern lasse sie ins Kämmerlein  aufs  Gerüst bringen, denn sie ist wirklich tot.“ Josef ließ sogleich die Leiche ins Haus tragen und bereitete  in  einem  Seitenkämmerlein  ein  Gerüst, um darauf die Leiche alsdann zu legen. Alles ging nun  zu  Cyrenius hin und tröstete ihn ob  dieses  plötzlichen  Verlustes  seines Weibes. Cyrenius aber enthüllte bald wieder sein  Gesicht,  richtete sich auf  wie ein rechter Held  und sprach: „O liebe  Freunde,  tröstet mich nicht  vergeblich, denn  ich habe meinen Trost  schon  gefunden in meinem eigenen Herzen und  einen  besseren  könnet  ihr mir wohl nicht geben. Sehet,  hier  hat  der  Herr  mir  ehedem  dies wunderbare Weib gegeben und hat  Er  es  mir  wieder  genommen,  denn Er allein ist ja Herr über alles Leben. Ihm sei darum auch alles aufgeopfert und  Sein heiliger  Name sei darum ewig gelobt und gepriesen. Es ist zwar ein harter Schlag  auf  mein fleischlich Herz, aber ich empfinde  ihn  nun  um  so  belebender  für  meinen  Geist. Denn dadurch hat der Herr mich frei gemacht und  ich  gehöre nun ganz,  aller  irdischen Bande ledig, Ihm allein zu, und  Er allein  ist  nun der  heilige  Einwohner meines Herzens!  Darum  tröstet  mich  nicht; Er allein ist mein Trost  für  ewig.“  Hier  kam  das  Kindlein wieder zu Cyrenius und sagte zu ihm: „Amen, also sei  es  für ewig. Wie ein Hauch werden die Erdenjahre vergehen, in denen wir  hier wirken werden; dann aber wirst du  dort  sein,  wo  Ich  sein  werde ewig unter denen, die Mich lieben werden dir gleich! Also sei es für ewig, ewig, ewig!“ 

Soweit das Jakobus-Evangelium.

Hierzu möchte ich folgendes bemerken: Was  wir  zu  Gott sprechen oder was wir Ihm zu reden, das verwirklicht sich in und  um  uns!  Da werden unsere Gedanken, unsere frommen Vorsätze,  Verheißungen, Versprechungen  wie unsere  Gebete  zur  harten Realität. So wurde auch das Bekenntnis des Cyrenius zur  traurigen  Wirklichkeit.  Wie  lauteten seine fast  vermessenen Worte an Gott? „Herr, wenn ich nur Dich habe, was frage ich da um  mein Weib und um die ganze Welt? Siehe,  alles  ist  mir  nun  um  eine  leichte  Münze  feil!“ Selbst des Kindleins Besänftigung wurde  überhört  und  änderte  des  Cyrenius Großsprechertum nicht. Er hörte nicht den kindlichen  Rat des  Jesu-Knaben. Im Gegenteil: Mit  einem  leichtfertigen  Bekenntnis  besiegelte  Cyrenius  seine  Gedanken und seine Gebete zum Werk: „Zerstäube die Erde und nimm mir die Tullia tausendfach, so bleibt  meine Liebe zu Dir, Jesus, völlig gleich!“

Bedenken wir  dieses  mutig  erscheinende Cyrenius-Bekenntnis,  es  wurde zu Gott  gesprochen,  geredet  in  das  Angesicht  der heiligen  Wahrheit. Deshalb mußte sich das ausgesprochene Wort im  Augenblick erfüllen. Tullia sank entseelt hin und war  tot.  Die  Tullia  aber war  seine  ganze  Liebe. Will  unser  Verstand  ohne  Liebe  leben ? 

Unser Verstand, Cyrenius  genannt,  muß  ohne  die  Liebe  versagen. Kontrollieren wir in ganzer  Demut ,  Hochachtung  und  Hingabe  all unsere Worte, unsere Vorsätze, Gebete und Wünsche,  ehe wir sie zu Gott aussprechen, damit wir nicht an den eigenen Gedanken zugrunde  gehen in der Stunde der Versuchung!