Von der Schönheit

 

Alles Schöne ist nach Plotin Wegweisung zum Guten, zum Einen. Auch von der sinnlichen Betrachtung des Schönen kann man zu ekstatischer Verzückung gelangen, wie es Dichter und Propheten, Heilige und Erleuchtete erlebten, für die die Anschauung des Schönen eine Vorstufe höherer Erkenntnis war, ein Mittel zum Gewahrwerden des Göttlichen hinter den Formen des Gewordenen:

"Als erstes ist die mit dem Guten identische Schönheit zu setzen. Von ihr geht der Geist aus als das schlichthin Schöne. Durch den Geist ist die Seele schön, durch die gestaltende Seele alles übrige. Auch in der Körperwelt wird, was den Namen des Schönen verdient, durch die Tätigkeit der Seele dazu gemacht. Da sie nämlich selbst etwas Göttliches, gleichsam ein Bruchteil des Schönen ist, macht sie alles schön, was sie berührt, soweit dieses imstande ist, Schönheit anzunehmen...

Wo das Schöne aufhört, hört auch das Sein auf. Darum ist das Sein bemerkenswert, weil es mit dem Schönen identisch ist, und das Schöne liebenswert, weil es das Sein ist."

Unnötig, hinzuzufügen, daß Plotin hier von der absoluten Schönheit spricht und von der Hingabe an sie als Mittel der Vollendung:

" Wenn wir von absoluter Schönheit sprechen, müssen wir von jeder bestimmten Gestalt absehen. Denn was Gestalt hat, ist begrenzt. Das wahrhaft Schöne, das Überschöne, ist weder gestaltet noch begrenzt, sondern formlos, und die wesentliche Schönheit dort ist die Natur des geistig Guten...

Das bezeugt auch der Zustand des Liebenden: solange sein Auge am sinnlichen Gegenstand haftet, liebt er noch nicht wahrhaft. Wenn er sich aber über den sinnlichen Gegenstand erhebt und dazu gelangt, in ungeteilter Seele ein nicht mehr sinnliches Urbild zu erzeugen, dann entsteht in ihm der Eros."

Damit ist der unpersönliche seelisch-geistige amor mysticus gemeint, der die Liebe zum Schönen und Guten ins Geistig-Göttliche erhebt, zum Trachten nach dem Einssein mit dem Einen transmutiert:

"Um das Schö ne zu schauen, welches die sinnliche Wahrnehmung nicht mehr sehen kann, das vielmehr die Seele ohne Sinnesorgane gewahrt und auffaßt, müssen wir höher hinaufsteigen. Verwunderung, liebliches Staunen, Sehnsucht, liebende Hingabe- das muß die Empfindung sein bei allem, was schön ist...

Wenn sie voller Liebe zum Schönen entflammt, legt die Seele jede Gestalt, die sie hat, ab. Denn jenem Höchsten kann man sich weder nahen noch in Harmonie mit ihm treten, solange man noch etwas anderes besitzt und sich mit ihm zu schaffen macht. Wenn die Seele sich von allem anderen freigemacht hat, schaut sie in sich selbst das plötzliche Aufleuchten des Höheren: kein Zwischenraum ist mehr da, es sind nicht mehr zwei, sondern beide sind eins. Die Seele und jenes Höchste sind nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Diese Vereinigung ahmen in dieser Welt die Liebenden nach, die ihr Wesen zu einem verschmelzen wollen...

In diesem Zustand merkt die Seele nichts mehr von ihrem Körperkleid, sie fühlt nicht mehr, ob sie lebt, ob sie ein Mensch ist, ob eine Wesenheit; sondern jenes Höchste allein sucht sie und schaut nur auf jenes statt auf sich selbst Und mit nichts würde sie dieses Schauen vertauschen, auch wenn man ihr den ganzen Himmel anböte; denn es gibt nichts Höheres mehr. Höher kann sie nicht steigen...

In diesem Zustand kann die Seele erkennen, daß sie wirklich besitzt, was sie erstrebt. Denn es gibt nichts Besseres als das und nichts Wahreres als die Wahrheit selbst. Alles andere, was sie früher entzückte, Herrschaft, Macht, Reichtum, Schönheit, Wissenschaft - alles das erscheint ihr jetzt als nichtig. Sie fürchtet auch kein Unglück und keinen Verlust, solange sie mit ihm vereint ist und es schaut. Alles um sie herum könnte zugrundegehen, wenn sie nur allein mit ihm übrig bleibt. So groß ist ihre Glückseligkeit. In diesem Zustand verschmäht die Seele sogar das Denken. Denn Denken ist Bewegung, und sie will nicht bewegt werden."

 

 

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Für Plotin ist, wie wir sehen, Schönheit ein metaphysischer Begriff: sie ist Offenbarung geistiger Harmonie und göttlicher Vollkommenheit, Spiegel des höheren Guten, des Einen. Diese geistige Schönheit ist nur innerlich wahrnehmbar.

"Da der, welcher zum Anschauen der übersinnlichen Schönheit gelangt ist und die Schönheit des Geistes empfunden hat, auch imstande ist, ihren Ursprung zu erfassen, wollen wir uns klarmachen, wie man die Schönheit des Geistes und der übersinnlichen Welt zu erschauen vermag: Stellen wir uns nebeneinander zwei Marmorblocke vor, den einen roh, den anderen schon vom Meißel des Künstlers zur Statue einer Göttin oder eines vollkommenen Menschen geformt. Dann ist der vom Künstler zur schönen Gestalt umgeschaffene Marmorblock offenbar schon infolge der Form, die er empfangen hat, die sich nicht schon im Stoff befand, sondern im Geist des Bildhauers existierte...

 

Wenn es aber der Kunst gelingt, Werke zu schaffen, die der Idee und dem Wesen der Schönheit voll entsprechen, so hat sie eine größere und wahrere Schönheit als die, welche sich in den äußeren Objekten vorfindet, die dem Willen des Künstlers nur insoweit gehorchen, als der Stein der Kunst nachgibt. Denn das schöpferische Prinzip ist höher als das Geschaffene. Demgemäß muß die Natur, welche so viele schöne Dinge hervorbringt, eine weit höhere Schönheit als diese Dinge besitzen. Wir indessen, die nicht gewöhnt sind oder nicht verstehen, in das Innere zu schauen, jagen dem Äußeren nach, ohne zu wissen, daß es das Innere ist, das uns bewegt...

AIle Werke der Kunst wie der Natur bringt eine Weisheit hervor, eine Werkmeisterin der schaffenden Tätigkeit. Nur das Vorhandensein dieser Weisheit macht Kunst möglich. Der Künstler wendet sich immer zur Weisheit der Natur, der er selbst seine Kunst verdankt. Diese Weisheit ist eine Einheit und ruht in sich selbst...

Am hellsten strahlt der Begriff der Schönheit in einer edlen Seele, wenn er sich in ihr offenbart. Sein Schöpfer ist der Geist. Die Wahrheit, die man in einem Menschen bewundert, verleiht seiner Seele größere Schönheit als die seines Äußeren. Man schaut dann nicht auf sein Antlitz, das sogar häßlich sein kann, man sieht von seiner äußeren Erscheinung ab und sucht allein die innere Schönheit."

Plotin erläutert das:

"Wie kommt es, daß ihr bei der Schönheit der Seele, wenn ihr euch selbst als innerlich schon erblickt, in heftige Erregung geratet und in lauten Jubel ausbrecht, daß ihr meint, von den Banden der Körperhülle befreit mit dem als schön Geschauten in Gemeinschaft und Liebesverkehr zu treten?

Dies sind wirklich die Empfindungen derer, die wahrhaft lieben. Gegenstand solcher Empfindungen ist die Seele selbst und das reine formlose Licht der Weisheit und der übrigen Tugenden, die Hochherzigkeit, gerechte Gesinntheit, die ernst blickende Tapferkeit, der würdige Anstand und das züchtige Wesen, das aus einer ruhigen, von keiner Leidenschaft bewegten Stimmung emporblüht, und über all dem das Leuchten der gottgleichen Vernunft."

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Und wie gelangt man zu solcher Anschauung der unsichtbaren inneren Schönheit, ,jener Schönheit, die, ewig im innersten Heiligtum verharrend, nie dessen Schwelle überschreitet, damit kein Uneingeweihter sie erblickt"?

"Man kehre ein in sein Inneres und sehe sich nicht mehr um nach dem, was einem vormals als schöne Körperlichkeit erschien... Man muß die leiblichen Augen schließen und das innere Auge öffnen, das wir zwar aIle besitzen, das aber die wenigsten gebrauchen...

Ziehe dich ganz in dich selbst zurück und betrachte dich in deinem wahren Wesen. Und wenn du dich selbst noch nicht als schön erblickst, so mache es wie der Bildhauer: wie er yon der Statue, so meißle du von dir alles Überflüssige, Störende hinweg, glätte bald hier, säubere bald dort, mache das Krumme gerade, erhelle das Dunkle, laß es rein werden, kurz: lasse nicht nach, an deinem Selbstbildnis zu arbeiten, bis der göttliche Glanz der Tugend dir entgegenstrahlt, bis du die Weisheit erblickst, die auf heiligen Gründen wandelt...

Bist du selbst so geworden, ganz das wahre einzige Licht, durch eine Gestalt in enge Grenzen gezwängt, größer als jedes endliche Maß und erhabener als jede Vielheit, wenn du dich, so geworden, erblickst, dann hast du die innere Sehkraft erlangt: voll Vertrauen schreite dann weiter vor. Du bedarfst dabei keines Führers...

Wer sehen will, muß ein Auge besitzen, das dem zu sehenden Gegenstand verwandt und ähnlich ist. Nie hätte das Auge jemals die Sonne erblickt, wenn es nicht seIber sonnenhaft wäre. So kann auch die Seele das Schöne nur sehen, weil sie selbst schön ist. Und es muß, wer das Gute und Schöne sehen will, zuerst Gott nah und schön werden...

Zum Geist emporgekehrt, wird die Seele schön in dem ihr möglichen Grade der Vollkommenheit. Der Geist und was vom Geiste ausgeht, ist die der Seele ursprüngliche und ureigene Schönheit, wobei alles Wesensfremde ausgeschlossen ist. Daher heißt es mit Recht: wenn die Seele gut und schön wird, wird sie Gott ähnlich, weil von ihm das Schöne und der bessere Teil des Seienden stammt; besser gesagt: das Seiende selbst, welches die Schönheit ist."

Statt zum Schönen können wir uns, wie Plotin betont, genauso emporheben zum Guten, nach dem jede Seele sich sehnt, und es zum Gegenstand unseres Strebens machen:

"Man erreicht es, wenn man zum Höheren emporsteigt, sich ihm gänzlich zuwendet und all das ablegt, was man einst, beim Herabsteigen in die Materie, angelegt hatte. So muß auch, wer in den Mysterien das Allerheiligste betritt, seine Kleidung ablegen und vollkommen nackt herantreten. Gleichermaßen muß die Seele alles, was dem Göttlichen  fremd ist, von sich abstreifen und allein mit ihrem all-einigen Selbst das Göttliche in seiner All-Einheit schauen als lauter, einfach und rein, als das, wodurch alles bedingt ist, worauf alles hinblickt, worin alles lebt und denkt. Denn es ist die Ursache des Lebens, des Geistes, des Seins...

Wer es schaut, den erfüllt freudiges Staunen, ihn erfüllt ein Schrecken, welcher aber nichts Verzehrendes hat. Er liebt in wahrer Liebe und heftiger Sehnsucht, er verachtet alles andere Lieben und alles, was er früher für schön hielt...

Das ist in etwa die Empfindung derer, denen eine Erscheinung von Göttern oder Geistern zuteil wurde. Was muß aber erst der empfinden, der das absolut Schöne, das Gute in seiner an und für sich seienden Reinheit schaut, ohne vergängliche Hülle, an keinen Raum der Erde oder des Himmels gebunden!...

Wer jenes schaut und in seinem Anblick verharrt und es genießt, indem er ihm ähnlich wird - welcher Schönheit sollte er noch bedürfen? Es ist ja eben diese Urschönheit, welche aIle, die es lieben, schön und liebenswert macht. Selig, wer es erreicht hat, wer zum wahren Schauen des seligen Anblicks gelangt ist.